Aktuelles
Keine Taser für die Schutzpolizei – Kommunikation und Deeskalation statt weiterer Bewaffnung und Gewalt
Dieser Antrag wurde von uns im November 2025 auf einer Mitgliederversammlung der SPD Freiburg gestellt. Er wurde so beschlossen.
Antragstext
Die Jusos Freiburg stellen folgenden Änderungsantrag für das Landtagswahlprogramm auf dem kommenden Landesparteitag: Die Zeilen 564 bis 567 des Programmentwurfs werden gestrichen.
Begründung
1. Kurzfassung
Die Einführung von Distanz-Elektroimpulsgeräten (DEIG, „Tasern“) in den Polizeidienst birgt erhebliche Risiken – unabhängig davon, ob sie als Waffe oder als Hilfsmittel körperlicher Gewalt eingeführt werden. Während eine Einstufung als Hilfsmittel die Einsatzschwelle massiv senkt und Missbrauch sowie eine Normalisierung von Gewalt und der Drohung mit Gewalt begünstigt, schafft auch die Einführung als Waffe keine Sicherheit: Sobald die Geräte beschafft und Beamt*innen geschult sind, kann ihre rechtliche Einstufung durch eine einfache ministerielle Verordnung herabgestuft werden. Aufgrund durchgreifender empirischer, medizinischer und rechtlicher Bedenken, sowohl durch Erfahrungen in anderen Ländern als auch wissenschaftlichen Arbeiten in Deutschland, ist die Einführung von Tasern in der Schutzpolizei insgesamt abzulehnen – mindestens bis umfassende unabhängige wissenschaftliche Evaluationen außerhalb von Pilotprojekten aus anderen Bundesländern vorliegen, die Wirkung und Risiken von Tasern belastbar bewerten.
2. Im Detail
a) Hintergrund zur Wirkungsweise des DEIG:
Das optisch einer Pistole ähnelnde, aber zur Unterscheidung in der polizeilichen Praxis meist in der Signalfarbe gelb eingesetzte DEIG schießt bei Betätigung des Abzugs mit Gasdruck zwei Pfeile, die sich in der Haut des polizeilichen Gegenübers verhaken. Die Pfeile hängen an isolierten Kupferdrähten, die sich ausrollen und nach Herstellerangaben je nach Gerät eine Distanz von 4,6 bis 10,7 Meter überwinden können. Mit dem Verhaken der Pfeile bei der betroffenen Person und dem weiteren Betätigen des Abzugs schließt sich ein Stromkreis; die Stromzufuhr dauert ca. 3 bis 5 Sekunden, dabei werden 19 Impulse pro Sekunde abgegeben. Durch diese Stromzufuhr werden die Nervenimpulse des Opfers überlagert. Es kommt zu unkontrollierbaren Muskelkontraktionen. Die betroffene Person bricht zusammen und kann in der relativ kurzen Zeit des muskulären Kontrollverlustes überwältigt werden. Neuere Geräte können zudem einen akustisch verstärkten Warnlichtbogen erzeugen, der die Anwendung bei der Androhung demonstriert. Alle Geräte der Firma Axon sind mit einer Dataport-Funktion zur Speicherung der Einsatzdaten ausgestattet (also wann, wie lange und wie oft das Gerät aktiviert wurde). Rückschlüsse auf den Anwender lassen sich über ein Identifikationssystem, das bei Abschuss 20 bis 30 konfetti-ähnliche Identifikationsplättchen am Ort des Einsatzes verteilt, ziehen. Es ist darüber hinaus technisch möglich, das Gerät mit einer Kamera auszustatten.
b) Taser als Hilfsmittel körperlicher Gewalt
Bei der Debatte um den Einsatz von Tasern muss zunächst unterschieden werden zwischen zwei Varianten der Einführung: Als Waffe oder als Hilfsmittel körperlicher Gewalt. Wird der Taser als Waffe eingestuft, darf er nur unter stark eingeschränkten Voraussetzungen eingesetzt werden, ähnlich wie die Schusswaffe, also vor allem zur Abwehr von Gefahren für Leib oder Leben. Wird er hingegen als Hilfsmittel körperlicher Gewalt eingestuft, liegt die Einsatzschwelle deutlich niedriger. Diese zweite Variante eröffnet ein erhebliches Missbrauchspotenzial und ist mit weitreichenden Risiken für die Gesundheit und Grundfreiheiten der Bevölkerung verbunden. Die Einführung von Tasern als Hilfsmittel körperlicher Gewalt ist aus medizinischer, rechtlicher und praktischer Sicht nicht zu rechtfertigen. Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass ein niedriger Schwellenwert für den Einsatz dazu führt, dass Taser nicht als Notfallinstrument, sondern als Mittel zur Willensbeugung oder zur Durchsetzung polizeilicher Anordnungen oder sogar nur dem Wecks des „Respekt gegenüber der Polizei“ eingesetzt werden. Die Androhung eines Tasereinsatzes erscheint auf den ersten Blick harmloser als die Drohung mit der Schusswaffe, entfaltet aber eine massive Einschüchterungswirkung. Diese niedrigere psychologische Hemmschwelle kann dazu führen, dass Tasern – oder zumindest das Androhen – zur Routine wird. Die vermeintliche Deeskalationswirkung, die von Befürwortern angeführt wird, ist in Wahrheit eine Übermachtwirkung, die auf Schmerz und Angst basiert. Es besteht damit die Gefahr, dass echte, kommunikative Deeskalationsmaßnahmen mit der Zeit durch das Androhen und gegebenenfalls sogar den Einsatz des Tasers abgelöst werden. Studien, insbesondere aus den USA, belegen, dass nach der Einführung von Tasern weder die Zahl ziviler Verletzungen noch der Einsatz tödlicher Gewalt durch Schusswaffen abnimmt. Vielmehr kommt es häufig zu einer Zunahme der Gewalt, da Tasereinsätze neben die sonstigen Gewaltanwendungen treten, weil der Taser als schnelle, scheinbar risikoarme Lösung wahrgenommen wird. All diese Argumente gelten umso mehr für den Kontaktmodus des Tasers, der – anders als der Sonden und Kabel verschießende Distanzmodus – nicht zu einer Immobilisierung des Ziels führt, sondern ausschließlich Schmerzen zufügt. Der Kontaktmodus der Taser ist daher grundsätzlich abzulehnen.
c) Medizinische Erwägungen
Hinzu kommt, dass der Taser keineswegs ein sicheres Einsatzmittel ist. Medizinische Untersuchungen weisen auf erhebliche Gesundheitsrisiken hin: Stromstöße können Herzrhythmusstörungen, Krampfanfälle, Atemstillstand, Verbrennungen oder schwere Sturzverletzungen auslösen. Besonders gefährdet sind unter anderem ältere und unter Drogeneinfluss stehende Menschen und Personen in psychischen Ausnahmesituationen – also genau jene Gruppen, gegen die Taser in der Praxis besonders häufig eingesetzt werden. Auch Sekundärverletzungen durch Stürze sind kaum vermeidbar, da die Lähmungswirkung der Elektroimpulse jede kontrollierte Bewegung ausschließt. Die Zahlen schwerer Zwischenfälle bei Spezialeinheiten sind dabei nicht repräsentativ: Diese Einsätze werden grundsätzlich von medizinischem Fachpersonal begleitet, das im Notfall sofort eingreifen kann. Dadurch ist der Einsatz dort auch für die betroffenen Personen deutlich sicherer als im Streifendienst, wo eine solche medizinische Absicherung nicht besteht. Das Risiko schwerer oder tödlicher Verletzungen wäre im alltäglichen Polizeivollzug entsprechend höher. Das ist nicht nur ein Risiko für die betroffenen Bürger*innen, sondern auch für die Polizist*innen, die Gefahr laufen, eine posttraumatische Belastungsstörung oder andere einsatzbezogene Folgen zu erleiden. Aktuelle Daten aus Nordrhein-Westfalen verdeutlichen das erhebliche Gesundheitsrisiko von Tasereinsätzen: Nach Angaben des Innenministeriums kam es 2023 zu insgesamt 1245 Einsätzen von Distanz-Elektroimpulsgeräten (DEIG) im Wachdienst, davon 1003 reine Androhungen und 242 tatsächliche Abschüsse. Bei 237 Personen trafen die Elektroden – in 99 Fällen war anschließend eine medizinische Behandlung erforderlich (81 ambulant, 18 stationär). Damit führten rund 42 % aller Tasertreffer zu einer behandlungsbedürftigen Verletzung. Das Innenministerium versucht, diese Quote zu relativieren, indem es auf Stürze oder andere Begleitfolgen verweist. Doch gerade solche Sekundärverletzungen sind spezifische, vorhersehbare Risiken des Tasereinsatzes. Wenn in fast der Hälfte der Fälle eine medizinische Nachversorgung nötig wird, zeigt das die Schwere des Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Besonders problematisch ist dabei, dass die Einsatzbefugnis in NRW – ebenso wie es in Baden-Württemberg geplant ist – als Verordnung bzw. Erlass geregelt werden kann, ohne parlamentarische Kontrolle. Ein Instrument mit einem derart hohen Verletzungsrisiko darf jedoch nicht ohne gesetzliche Grundlage mit detaillierten Einsatzvoraussetzungen und Erfordernissen ähnlich dem Einsatz der Schusswaffe eingeführt werden.
d) Der Mythos vom „Taser statt der Schusswaffe“
Die oft behauptete „Lücke“ zwischen Schlagstock/Pfefferspray und der Schusswaffe
existiert im Alltag der Schutzpolizei praktisch nicht. In dynamischen, gefährlichen
Situationen müssen Streifenpolizist*innen rasche Entscheidungen unter Bedrohung für
Leib und Leben treffen. Der Taser ist allerdings schwierig in der Handhabung, teils
unberechenbar und technisch störanfällig. Er funktioniert z.B. nicht
● Gegen ein Ziel in einer dicken Winterjacke, weil die Elektroden Kontakt zur Haut
brauchen.
● Wenn auch nur eine Elektrode das Ziel nicht trifft. Das Ziel ist dabei allein der
Rumpf (aber nicht die Brust, da dieser Bereich zu gefährlich ist) der Zielperson,
denn nur so kann die lähmende Wirkung garantiert werden.
● bei Regen, weil die Feuchtigkeit die Gefahr einer unkontrollierten Reaktion birgt.
● in beengten Räumen wie Autos, Fluren oder Treppenhäusern. Auch in Situationen
eines Nahkampfes ist ein Taser wegen der geringen Trefferwahrscheinlichkeit und
der Gefahr eines Drittschadens ausgeschlossen.
Weil die Wirkung des Tasers in der Praxis damit unsicherer als die einer Schusswaffe
ausfällt, bleiben sie aus nachvollziehbarem Selbstschutzgründen bei der Schusswaffe.
Ein tragisches Beispiel für diesen Widerspruch ist der tragische Fall aus Dortmund, in dem
der 16-Jährige Betroffene zweifach „getasert“ wurde, ohne dass ihn das in dieser von den Einsatzkräften als dynamisch eingeschätzten Situation vor dem Einsatz der Schusswaffe geschützt hätte, die keine Sekunde nach dem zweiten DEIG abgefeuert wurde. Der Vergleich mit dem erfolgreichen Einsatz bei den Spezialeinheiten verdeutlicht diesen Punkt: Spezialeinheiten sind in der Regel besser geschützt, besser und regelmäßiger trainiert und von zahlreichen herkömmlich bewaffneten Kolleg*innen umgeben, die im Ernstfall sofort eingreifen können. Dadurch können sie sich auch in gefährlichen Lagen den Einsatz eines Tasers „leisten“, ohne das eigene Leben zu riskieren. Streifenpolizist*innen weniger häufig im Umgang mit dem Taser geschult, sodass ein zusätzliches Einsatzmittel, mit dem wenig trainiert wurde, zusätzliche Gefahren bergen kann. Außerdem stehen Streifenpolizist*innen meist allein oder zu zweit vor der Entscheidung, ob sie in einer Bedrohungssituation den Taser oder die Schusswaffe einsetzen und werden in Situationen, die schwerwiegend genug für einen Tasereinsatz wären, aus Selbstschutzgründen verständlicherweise auf die Schusswaffe zurückgreifen. In Situationen, in denen keine unmittelbare Lebensgefahr besteht, wäre der Taser einsetzbar – aber nicht mehr rechtmäßig, denn ohne eine entsprechende Gefahr wäre er kein notwendiges Mittel mehr. Hier sind Kommunikation und Deeskalation die angemessenen Wege, für die die Polizei – gerade im Umgang mit psychisch kranken Personen – nicht ausreichend ausgebildet ist. Damit bleibt der Taser praktisch nur in eng kontrollierten, statischen Situationen einsetzbar (dann allerdings nicht verhältnismäßig) und entfaltet im Übrigen im Streifendienst kaum einen realen Nutzen, während er – wie oben gezeigt – erhebliches Gefahrenpotenzial beinhaltet.
e) Wiederkehrende (Zeit-)Kosten
Der sichere Umgang mit Tasern erfordert ein nachhaltiges Aus- und Fortbildungsprogramm aller Beamt*innen. Das bedeutet alle über 25.000 Schutzpolizeibeamt*innen in Baden-Württemberg müssten mindestens 2 Tage lang ausgebildet werden. Anschließend sind neben dem üblichen Dienst weitere regelmäßige Schulungen nötig. Dies ist jetzt schon für Schusswaffe, Schlagstock und Pfefferspray sowie allgemeine Abwehr- und Zugriffspraktiken nötig. Der Zusatz eines Tasers erhöht damit die (Zeit-) Kosten für Ausund Fortbildung. Natürlich entstehen auch hohe Kosten bei der Anschaffung und Wartung der Geräte. Vor dem Hintergrund all der hier genannten Dokumente erscheint es fragwürdig, in einer angespannten Haushaltslage für eine größtenteils nutzlose und überaus gefährliche Waffe der Polizei drängendere Investitionen hintanstellen.
f) Einführung als Waffe
Selbst eine Einführung als Waffe, die diese Probleme formal entschärfen könnte, löst sie in der Realität nicht. Sobald die Geräte beschafft, verteilt und Beamt*innen geschult sind, kann ihre rechtliche Einstufung jederzeit durch eine einfache ministerielle Verordnung geändert werden. Eine solche Herabstufung vom Waffenstatus zum „Hilfsmittel körperlicher Gewalt“ erfordert keinen Gesetzesbeschluss – sie kann durch den Innenminister allein erfolgen. Damit wäre eine spätere Ausweitung des Einsatzes faktisch vorprogrammiert. Die Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass eine solche schleichende Herabstufung regelmäßig innerhalb weniger Jahre erfolgt.
g) Kein Grund, die CDU rechts zu überholen
Der CDU-Innenminister hat angekündigt, Taser zunächst in einem begrenzten Pilotprojekt in wenigen Polizeipräsidien zu testen – ein Vorgehen, das bereits für sich genommen kritisch zu sehen ist. Erfahrungen aus anderen Bundesländern zeigen, dass solche Pilotprojekte nahezu automatisch zu positiven Ergebnissen führen, weil die Evaluationen in erster Linie auf Rückmeldungen der ausführenden Polizeibeamt*innen gestützt werden und externe, wissenschaftliche Bewertungen oder die Perspektive der Betroffenen fehlen. Umso eigenartiger mutet es an, diesem Kurs auch noch vorzugreifen und die CDU in ihrer Law-and-Order-Politik rechts zu überholen, indem bereits jetzt eine flächendeckende Einführung von Tasern für die Schutzpolizei gefordert wird. Eine sozialdemokratische Innenpolitik sollte sich nicht am konservativen Sicherheitsdiskurs orientieren, sondern an den Grundsätzen von Rechtsstaatlichkeit, Verhältnismäßigkeit und Deeskalation.
3. Fazit: Keine Taser für die Schutzpolizei
Die Einführung von Tasern ist daher insgesamt abzulehnen – zumindest solange keine unabhängigen umfassenden Evaluationen außerhalb von Pilotprojekten aus anderen Bundesländern vorliegen, die den tatsächlichen Nutzen, die Risiken und die Einsatzpraxis wissenschaftlich belegen. Polizeiarbeit braucht Vertrauen, Transparenz und Deeskalation, nicht neue Waffen, die die Anwendung von Gewalt erleichtern. Sollte eine Einführung zu einem späteren Zeitpunkt überhaupt in Betracht gezogen werden, kann sie nur unter vergleichbaren Voraussetzungen wie der Schusswaffengebrauch und ausschließlich in Verbindung mit Bodycams erfolgen, die beim Ziehen des Tasers automatisch aktiviert werden. Dabei muss sichergestellt sein, dass auch die Androhung des Tasereinsatzes. zwingend auf einer Bodycam aufzunehmen ist und der Kontaktmodus der Taser deaktiviert wird.
Autor: Gidion Zieten